“Geh mal Kartoffeln holen!” – Lernpotentiale fördern

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WDR 5 berichtete in der Sendung Leonardo über ungewöhnliche Bildungswege.

Den Bericht können Sie hier laden (Infos ab Minute 21:32).

Erzählt wird hier die Geschichte von Ibrahim Ismail. Eigentlich sollte er mit einem Hauptschulabschluss für Lernbehinderte ins Leben geschickt werden. Doch neben seinem Förderschulzeugnis hängt an der Wand ein ausgezeichneter Universitätsabschluss. Wie kann das sein?

Mit 5 Jahren kam er als Flüchtling nach Deutschland – geflohen vor dem Krieg im Libanon. Als in der Grundschule malte, wo er kaum etwas verstand, spiegelten seine Bilder seine Erlebnisse: Den Krieg. Nach einer Begutachtung durch Experten wurde er auf eine Sonderschule für Lernbehinderte geschickt.

Dort bemerkte ein Betreuer sein Potenzial und sorgte dafür, dass er eine Regelschule besuchen konnte. Er startete durch. Sein Schulabschluss: Das Abitur. Ibrahim hatte das Zeug zum Studieren – aber ohne unbefristeten Arbeitsvertrag gab es keine Chance. Er jobbte im Kino und erledigte das Studium nebenbei.

Den exzellenten Universitätsabschluss präsentierte er seine Mutter – ihre Reaktion: “Kannst du bitte mal im Keller Kartoffeln holen?”. Sie liebt ihren Sohn so wie er war, egal ob er nun Sonderschüler oder Bundespräsident ist – Bodenhaftung und Rückbesinnung auf das Wesentliche tut bei dieser Geschichte sicher gut. Aber wie schmal war der Grat  dieser Entwicklung? Ein Lehrer erkannte das Potential – vielleicht durch Zufall?

“Ich möchte aus dieser Geschichte lernen.” – betont Dr. Andreas Pallack. Auch nach Nordrhein-Westfalen kommen derzeit viele Flüchtlinge. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung unterstützt die Schulen bei der Aufnahme dieser Schülerinnen und Schüler. Ebenfalls sehr wichtig – wenn nicht genauso wichtig – ist allerdings die Unterstützung vor Ort.

Das Franz-Stock-Gymnasium ist eine von zwei weiterführenden Schulen in Arnsberg die Auffangklassen eingerichtet hat. Am 9. Dezember 2014 begrüßte das FSG erstmals Schüler aus der ganzen Welt, die in einer Klasse unter der Leitung von Charlotte Descamps allmorgendlich Unterricht in der deutschen Sprache bekommen. „Sobald sie fit in der deutschen Sprache sind, besuchen sie nach und nach den Regelunterricht“, so Frau Descamps.

Auch unsere Schülersprecherin Hannah Sperling besuchte die neuen Mitschülerinnen und Mitschüler des FSG und ist begeistert: “Ich wurde mit ganz viel Herzlichkeit und Offenheit empfangen. Wir sind direkt ins Gespräch gekommen und ich habe einiges über unsere neuen Mitschülerinnen und Mitschüler erfahren. Ich sehe die neue Klasse als große Chance für uns und unsere Schule, um zu beweisen, dass wir neben einer Schulgemeinde auch eine internationale Gemeinschaft sind.”

Doch wie erfährt man etwas über das tatsächliche Potential, das diese Menschen bereits mitbringen? Dr. Pallack: “Ich habe meine Idee der Analyse von Potentialen zur gezielten individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern der Auffangklassen Vertretern der Stadt Arnsberg, auch dem Bürgermeister Hans-Josef Vogel, vorgestellt. Bei uns werden jetzt Schülerinnen und Schüler unterrichtet die erhebliches Potential mitbringen: Eine Schülerin spricht nahezu fließend vier Sprachen – Deutsch ist leider nicht dabei. Andere Schüler haben nur ein Jahr eine Schule besucht und haben zwar Defizite – jedoch auch erhebliches Geschick auf anderen Ebenen. Es ist sehr schwer vorherzusagen welche Förderung zielführend ist: Erst die Konzentration auf das Erlernen der deutschen Sprache oder die parallele fachliche Förderung in Kleinstgruppen, wie wir sie zum Beispiel im Rahmen von Jugend forscht anbieten. Wir wissen es nicht – arbeiten aber an einer Lösung.”

Der Schulleiter des FSG spricht damit das Engagement von Förderern an, die es ermöglichen Konzepte zu entwickeln, um das Potential von Schülerinnen und Schülern in Auffangklassen systematisch zu erfassen und damit eine optimale Förderung zum Übergang in Regelklassen zu gewährleisten. Der Auftrag zur Dokumentation und Entwicklung des Konzeptes kann in der nächsten Woche wohl erteilt werden. Die Hoffnung ist dabei, dass wir im Umgang mit Kindern aus Flüchtlingsländern in Arnsberg immer besser werden.

“Ich möchte jetzt keine Namen nennen, da ich die Jugendlichen vorher nicht befragt habe.” erklärt Dr. Pallack. “Jedoch haben wir Schüler, die hervorragende Abiturleistungen erbringen werden und kaum ein Wort Deutsch sprachen, als sie an unsere Schule kamen. Diese Geschichten sind vielleicht nicht zu der von Ibrahim Ismael ebenbürtig – ich würde mich aber freuen, wenn wir in 10 Jahren auch auf solche Geschichten zurückblicken könnten.”